Das Zentgericht

Da im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) das Dorf Nieder-Roden wie viele andere Ortschaften unserer Gegend, den Brandschatzungen der Kriegshorden zum Opfer fiel, fehlen brauchbare örtliche Unterlagen von vor dieser Zeit. Aber nicht nur Unterlagen wurden vernichtet, auch viele Menschen mussten in den Kriegswirren ihr Leben lassen. Eine Volkszählung im Jahre 1638 ergab, dass in Nieder-Roden nur noch 7 Menschen lebten. Erst ab dem Jahre 1674 gibt es wieder Aufzeichnungen in Pfarrbüchern, die der damalige Pfarrer Theodor Hausen begonnen hatte.

Aus anderen Unterlagen wissen wir aber, daß Nieder-Roden schon vor der Herrschaft der Mainzer Kurfürsten Sitz eines Zentgerichtes war.

Eine Urkunde aus dem Jahre 1318 besagt:

»Wir han auch mehr beredt, daß wir, Gottfried, Herr zu Eppstein benannt, uns oberste Gericht zu Nieder-Roden sollen vorbehalten, gleichermaßen als wir es bisher bracht.«

Zu diesem Zentgericht gehörten die Dörfer der alten »Rotahermarca« Messel, Urberach, Ober-Roden, Nieder-Roden, Dudenhofen, Jügesheim und die Teile von Dietzenbach und Hainhausen, die außerhalb der Torsäulen errichtet waren. Den Vorsitz im Zentgericht führte der Zentgraf. Die Schöffen wurden von den einzelnen Ortschaften gestellt. Nieder-Roden stellte 4 Schöffen, die übrigen Ortschaften je 2 Schöffen. Vor diesem Gericht wurden alle zivilen Angelegenheiten und Streitigkeiten wie Kauf, Schenkung, Pacht, Eigentumsübertragung und Schuldverhältnisse, aber auch alle strafbaren Handlungen: wie Diebstahl, Raub, Betrug, Brandstiftung und Körperverletzung, selbst Totschlag und Mord verhandelt und geahndet.

Diese Gerichtsverhandlungen »das ungebotene Ding« fanden zweimal im Jahr zu bekannten und festgesetzten Terminen statt. Diese Termine waren: der Dienstag nach Fronleichnam und der Dienstag nach dem Fest des Erzengels Michael (29. September)

 

Historische Linde am Bahnhofsvorplatz
Historische Linde am Bahnhofsvorplatz

Die Zentgerichtsverhandlungen liefen nach einem genau einzuhaltenden Ritual ab und begannen mit der Frage des Zentgrafen an den ältesten Schöffen:

»Ist es Zeit, Ort und Recht, das Gericht zu hegen?«

Der so angesprochene Schöffe bejahte diese Frage, und nun wurde das Gericht mit der Hegungsformel eröffnet:

»Also hege und halte ich das Gericht im Namen und von wegen des hochwürdigsten Fürsten und Herren des Heiligen Stuhl zu Mainz, Erzbischoffen, des heiligen römischen Reiches durch Germainien Erzkanzler und Kurfürsten, sodann im Namen und von wegen des Zentgrafen und der sämtlichen Schöffen, auch aller dero wegen, die solches von Nöten haben. Darüber tue ich Fried und Bann, daß keiner dem anderen an diesem löblichen Landgericht Zwang antue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich erlaube das Recht und verbiete das Unrecht. Ich verbiete auch, daß keiner sein Wort tue, er tue es denn mit Erlaubnis. Ich verbiete, daß kein Schöffe den Stuhl räume, er tue es denn mit Erlaubnis.«

 

Alter Ziehbrunnen an der Hauptstraße
Alter Ziehbrunnen an der Hauptstraße

Bei schweren Fällen erhob der Kläger oder der Bereder die Klage. Der Angeklagte oder der Wehrer verantwortete sich. Die Schöffen fällten das Urteil.

Bei leichteren strafbaren Handlungen brachten die Schöffen der Reihe nach die Rügen der Orte vor. Darauf zogen sich der Zentgraf und die Schöffen zurück, setzten die Strafen fest und ließen sie durch den Amtsschreiber verlesen. Die Strafen mussten bis zum nächsten Landgericht bezahlt und die Frevel vertreten, d. h. abgebüßt sein.

Hatte jemand ein schweres Verbrechen begangen, so wurde es durch Köpfen, Ertränken oder durch Aufhängen an den Galgen gebüßt. Sollte der Verbrecher zur Aussage gezwungen werden, so kam er in die Folterkammer.

Nach der Verhandlung fragte der Zentgraf erneut den ältesten Schöffen, ob das Gericht genugsam gehegt sei.

In der damaligen Zeit tagte das Zentgericht unter freiem Himmel, unter einer mächtigen Linde. So ist es denkbar, dass die alte mächtige Linde, die am heutigen Bahnübergang Frankfurter Straße bis zum Jahre 1964 gestanden hat, Verhandlungsort des Zentgerichtes war.

Die Hinrichtungsstätte war links des Babenhäuserweges im heutigen Staatsforst, nahe der neuen B 45. Hier wurde, wenn nötig, ein Galgen errichtet. Die Flurbezeichnung »Am Galgen-Langenloh« erinnert heute noch an diesen Ort.